Eilverfahren vor dem VfGH könnte Rechtsschutzlücken schließen

Von: Gerhard Baumgartner - Die weitreichenden Grundrechtseingriffe durch staatliche Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus geben Anlass, über ein Eilverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nachzudenken. Ein solches Verfahren könnte Rechtsschutzlücken schließen und präventiv wirken.

Gerechtigkeit (Pixabay)
Gerechtigkeit (Pixabay)
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Am 29. November 2021 hielt Univ.-Prof. Dr. Gerhard Baumgartner ein Webinar zum Thema „Brauchen wir ein Eilverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof?“. Die wesentlichen Aussagen dieses Referats lassen sich wie folgt zusammenfassen:


1.    Aufgrund der weitreichenden Grundrechtsbeschränkungen durch staatliche Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus und die andauernde Dynamik der Krisenrechtsetzung stellt sich die Frage: Sind die Rechtsschutzmechanismen der Bundesverfassung ausreichend oder brauchen wir ein Eilverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof?

2.    In einem Rechtsstaat muss sichergestellt sein, dass die Einhaltung der Verfassung sowie von Gesetzen und Verordnungen durch entsprechende Rechtsschutzeinrichtungen überprüft werden kann. Der dem Einzelnen zur Verfügung stehende Rechtsschutz muss angemessen und effektiv sein.

3.    Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Juli 2020 mit drei Entscheidungen zur Frage der Rechtmäßigkeit staatlicher Maßnahmen der Pandemiebekämpfung Stellung genommen. Obwohl die angefochtenen Normen zum Teil bereits außer Kraft getreten waren, wurden die Individualanträge zugelassen. Mit dieser Weiterentwicklung der Judikatur wurde eine drohende Rechtsschutzlücke geschlossen.

4.    Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Mittels einstweiliger Anordnung kann eine vorläufige Regelung getroffen werden, „wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.“ Es kommt dabei nicht auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache an. Maßgeblich ist vielmehr das Ergebnis einer Folgenabwägung: Die Folgen, die einträten, wenn keine einstweilige Anordnung erginge, die Hauptsache jedoch Erfolg hätte, werden abgewogen gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen würde, die Hauptsache dann aber erfolglos bliebe.


5.    Gegen ein Eilverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach dem Vorbild des deutschen Bundesverfassungsgerichts wird ins Treffen geführt, dass der österreichische Verfassungs-gerichtshof ohnedies sehr rasch entscheide, zumal die durchschnittliche Erledigungsdauer weniger als vier Monate beträgt. 

6.    Dennoch können insbesondere in einem dynamischen Regelungsumfeld Rechtsschutzlücken entstehen. Ein Eilverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof könnte solche Rechtsschutzlücken schließen und würde außerdem präventiv wirken.
 
7.    Angesichts der großen Bedeutung des Gesundheitsschutzes wäre auch bei Schaffung eines verfassungsgerichtlichen Eilverfahrens nicht damit zu rechnen, dass es zu einem weitreichenden Außerkraftsetzen von Corona-Maßnahmen kommt.