Das „Hineintesten“ kann durchaus gerechtfertigt sein

Von: Gerhard Baumgartner - Das Erfordernis eines negativen COVID-19-Tests („Hineintesten“) kann aus grund-rechtlicher Sicht ein gelinderes Mittel darstellen und daher gerechtfertigt sein. Es stellt sich aber die Frage, wieso dieses Konzept nicht auch in anderen Lebensbereichen zum Einsatz gelangt und damit den Menschen ihre grundrechtlichen Freiheiten wieder ein Stück weit zurückgegeben werden.

Covid 19 Test (pixabay)
Covid 19 Test (pixabay)
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Zu den prominentesten Neuerungen der aktuell geltenden Vorschriften zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zählt zweifelsohne das sogenannte „Hineintesten“. Das Grundprinzip ist einfach: bestimmte Freiheiten sind an die Vorlage eines negativen COVID-19-Tests geknüpft. Neben den Schulen – für die freilich spezielle Regeln gelten – wird dieses Konzept vor allem im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von körpernahen Dienstleistungen verwirklicht. Als körpernahe Dienstleistungen gelten etwa Dienstleistungen der Friseure und der Kosmetiker.

Wie sind solche Vorgaben zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus grundrechtlicher Sicht zu beurteilen? Handelt es sich um eine neue Freiheitsbeschränkung oder um ein Mittel um bestehende Grundrechts­beschränkungen zurückzunehmen?

Grundrechtlich geschützte Erwerbsfreiheit

Versucht man diese Frage anhand des eben erwähnten Beispiels der körpernahen Dienst­leister zu beantworten, zeigt sich folgendes Bild: Die maßgebliche Verordnung des Gesund­heits­ministers ordnet an, dass die Betreiber Kunden in Betriebsstätten zur Inan­spruchnahme von körpernahen Dienstleistungen – von Ausnahmen abgesehen – nur einlassen dürfen, wenn diese einen Nachweis über einen negativen COVID-19-Test vorlegen, dessen Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegt. Eine solche Regelung stellt als Ausübungsbeschränkung einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Erwerbsfreiheit der betroffenen Dienstleister (Friseure, Kosmetiker usw.) dar. Beschränkungen der Erwerbs­freiheit sind nur zulässig, wenn sie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen. Sie müssen daher im öffentlichen Interesse liegen, geeignet, erforderlich und adäquat sein. Die Beschränkung der Erwerbsausübung auf negativ getestete Kunden dient offenkundig der Reduktion des Infektionsrisikos der Bevölkerung und damit dem im öffentlichen Interesse liegenden Gesundheitsschutz. Wenn mit den vor­geschriebenen Tests tatsächlich ein signifikanter Teil der Infizierten erkannt werden kann, ist die Regelung auch geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen. Das Kriterium der Erforderlichkeit bedeutet, dass der Staat unter allen geeigneten Mitteln das gelindeste wählen muss, in diesem Fall also jenes, das die Erwerbsfreiheit dieser Dienstleister am wenigsten einschränkt. Bliebe sonst nur eine vollständige Schließung dieser Betriebe, erfüllt das „Hineintesten“ auch diese Voraussetzung. Insofern könnte das Erfordernis eines negativen COVID-19-Tests in der Tat als ein Mittel zur Zurücknahme zuvor bestehender Grundrechts­beschränkungen (vollständige Schließung) gesehen werden. Schließlich ist unter dem Aspekt der Adäquanz zu prüfen, ob zwischen dem öffentlichen Interesse an der Reduktion des Infektionsrisikos und der durch die Regelung bewirkten Beeinträchtigung der Erwerbsfreiheit ein angemessenes Verhältnis besteht. Hier ist auch zu berücksichtigen, ob für die potenziellen Kunden ein leicht zugängliches, kosten­loses und ausreichendes Testangebot besteht. Denn je einfacher es für die Kunden ist, sich zeitnah das erforderliche Testergebnis zu beschaffen, desto geringer werden die Aus­wirkungen auf die Erwerbsausübung der betroffenen Dienst­leister sein.

Auch wenn angesichts der dürftigen Begründung für diese Verordnung eine abschließende Beurteilung nur unter Vorbehalt möglich erscheint, sprechen doch gute Gründe dafür, dass die erörterte Regelung insoweit verfassungskonform ist.

Grundrechtssphäre des Kunden

Das Erfordernis eines „Eintrittstests“ berührt aber auch die Grundrechtssphäre der Kunden, zumal sie eine entsprechende Untersuchung über sich ergehen lassen müssen, wenn sie solche Dienst­leistungen in Anspruch nehmen möchten. In Anbetracht des hohen Gewichts, das dem öffentlichen Interesse an der Eindämmung des Infektionsgeschehens zukommt, sowie des Umstandes, dass die betreffenden körpernahen Dienstleistungen nicht der Befriedigung unverzichtbarer Grundbedürfnisse dienen, ist anzunehmen, dass auch insoweit die Verhältnis­mäßigkeit gewahrt ist.

"Eintrittstests" auch in anderen Bereichen?

Der nunmehr gewählte Ansatz des „Hineintestens“ gibt darüber hinaus Anlass zu weiter­führenden grundrechtlichen Überlegungen. Denn wenn der Verordnungsgeber selbst der Auffassung ist, dass ein aktueller COVID-19-Test ausreicht, um bei körpernahen Dienst­leistern das Infektionsrisiko auf ein akzeptables Maß zu reduzieren, wird zu Recht diskutiert, warum den Menschen nicht auch in anderen Lebensbereichen ihre grundrechtlich geschützten Freiheiten wieder ein Stück weit zurückgegeben werden können, sofern alle beteiligten Personen entsprechend getestet wurden. Angesichts des kasuistischen Regelwerks der aktuellen (4.) COVID-19-Schutz­maßnahmen­verordnung drängt sich daher die Frage auf, ob die dort zahlreich vorgesehenen Differenzierungen mit dem Gleichheits­grundsatz zu vereinbaren sind. Ist es beispielsweise dem einen erlaubt, seinen Betrieb für negativ getestete Kunden zu öffnen, dem anderen hingegen verboten, bedarf es dafür einer sachlichen Rechtfertigung. Der Verordnungsgeber muss daher auch nachvollziehbar begründen können, warum er in bestimmten Konstellationen nicht von der milderen Regelungsalternative (Erfordernis von „Eintritts­tests“) Gebrauch macht, sondern den Menschen gravierendere Beschränkungen ihrer Grundrechte zumutet.

Testen statt Zu- und Einsperren

Dass das Erfordernis von „Eintrittstests“ als Belastung empfunden wird, ist verständlich. Angesichts der schleppenden Versorgung der Bevölkerung mit Impfstoffen und der anhaltenden Bedrohung durch das (mutierte) Virus könnte das Konzept „Testen statt Zu- und Einsperren“ aber womöglich ein Weg sein, wieder mehr Freiheit zuzulassen und von massiveren Grundrechtsbeschränkungen Abstand zu nehmen.