Die Mü(n)digkeit der Bürger in Zeiten der Krise

Von: Sabine Roßmann und Christof Pollak. Die Initiative für Grund- und Freiheitsrechte versucht grundsätzliche Punkte zu aktuellen Fehlentwicklungen im Umgang mit der Krise und zu gesellschafts-politischen Anforderungen an eine kompetente Krisenpolitik aufzuzeigen. Die Autoren Sabine Rossmann und Christof Pollak widmen sich in einem bemerkenswerten Essay einer Reihe von Fragen von „Schuld bis Schulschließung“.

Hände Baby
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Seit bald einem Jahr lebt die westliche Welt mit massiven Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten im Zusammenhang mit den zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 ergriffenen Maßnahmen. In Österreich, aber auch in anderen europäischen Staaten, klafft ein breiter Riss durch die Gesellschaft. Allgegenwärtig wird von Politik und Medien Solidarität in der Bevölkerung eingemahnt, während sich im Zuge einer fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft ein Gefühl der Ohnmacht und Resignation breitmacht. Kaum jemand möchte sich der Flut an widersprüchlichen Informationen noch stellen. Lieber würde man sich ablenken, doch derzeit, den nahenden Winter vor Augen und der meisten Freizeitmöglichkeiten und Freiheiten beraubt, scheint das unmöglich. Sowohl die Angst vor Corona selbst als auch die Angst vor immer größeren Einschränkungen der Selbstbestimmung haben über die Monate die Nerven der Menschen aufgezehrt und sie müde gemacht. Dieser demokratiepolitisch gefährliche Gemütszustand befällt gleichermaßen Menschen, die die Maßnahmen begrüßen, wie jene, die sie in Frage stellen.

Während Maßnahmenbefürworter in dieser Krise medial als (mehr oder weniger) stille Helden gefeiert werden, wurden und werden Skeptiker und Kritiker pauschal in eine Schublade mit Corona-Leugnern, Staatsverweigerern und Verschwörungstheoretikern gesteckt. Aber wann ist eigentlich Hinterfragen zu etwas Negativem geworden? Wie können Fragen nach der Wahrheit oder die Forderungen nach Transparenz und Diskussion einer Demokratie auch nur denkmöglich schaden? Hat man unserer Generation nicht eingebläut, dass es keine dummen Fragen gibt?

Tatsächlich ist Hinterfragen und selbständiges Denken alles andere als ein Ausdruck von Müdigkeit oder mangelnder Solidarität innerhalb einer Gesellschaft, sondern vielmehr von Mündigkeit der Bürger. Betrachtet man die Geschichte etwas genauer oder wagt einen weltweit vergleichenden Blick ins Ausland, so zeigt sich, dass kaum etwas gefährlicher ist, als eine Bevölkerung, die ohne nachzudenken jeder politischen Vorgabe folgt.

Kritik betreffend die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 wurde zuletzt unter Verweis auf eine vermeintliche Alternativenlosigkeit und mit dem Vorwurf eines Besserwissertums als bloß destruktiv wahrgenommen. Angesichts des nunmehr zweiten, angeblich neuerlich alternativenlosen Lockdowns möchte die Initiative für Grund- und Freiheitsrechte ein paar grundsätzliche Punkte zu aktuellen Fehlentwicklungen im Umgang mit der Krise und zu demokratischen und gesellschaftspolitischen Anforderungen an eine kompetente Krisenpolitik aufzeigen. Beschrieben wird dabei ein Weg von „Dos“ und „Don’ts“, bei dem freilich Lernfähigkeit, Offenheit und Mut zum Einbekennen von Fehlern Voraussetzungen sind.

„Don‘ts“ (Was jedenfalls unterbleiben sollte):

1.) Schuldzuweisungen:

Die Frage nach der Schuld ist im Zusammenhang mit der Bewältigung einer virusbedingten Pandemie völlig deplatziert. Schuld ist rechtlich betrachtet die persönliche Vorwerfbarkeit unrechtmäßigen Verhaltens. Auf der Ebene der Ansteckung mit einer Krankheit haben wird es grundsätzlich aber nicht mit rechtlichen Aspekten, sondern mit dem allgemeinen Lebensrisiko zu tun. Daran hat denklogisch kein Mensch Schuld, es sei denn, er handelt zumindest bedingt vorsätzlich oder gefährdet andere bewusst fahrlässig. Niemand, der sich im Rahmen seiner normalen Lebensführung ansteckt, hat an irgendetwas Schuld. Der Boden vorwerfbaren Verhaltens wird nämlich erst dann betreten, wenn man bewusst ungeschützten und sorglosen Umgang mit infizierten Personen hat oder selbst infiziert ist und sich nicht an Quarantänevorschriften hält, frei nach dem Motto „Egal, wird schon nix sein!“.

Ungeachtet dieser von keinem Bürger verschuldeten Krisensituation werden dennoch sowohl von Seiten der Politik gegenüber einzelnen Bevölkerungsgruppen als auch unter den Bürgern wechselseitig permanent Schuldzuweisungen erhoben. Damit ist tunlichst aufzuhören. Wir sind in einer Krise und haben nach vorne zu blicken. In dieser Situation, die alle Bevölkerungsschichten auf die eine oder andere Weise negativ betrifft, darf keine Front zwischen Jung und Alt, Risiko- oder Normalpatienten entstehen. So normal wie es ist, dass junge Menschen das Bedürfnis haben, sich miteinander zu treffen, Menschen kennen zu lernen und Lebensgefühl zu spüren, so normal ist es, dass sich ältere Menschen nicht einfach von der Gesellschaft wegsperren lassen wollen. Weder haben die einen das Attribut „Lebensgefährder“ verdient noch die anderen den Vorwurf der „Systembelaster“. Wir sind eine Menschheit und können daher nur gemeinsam aus der Krise kommen.

2.) Befeuerung der Angst

Der schon fast legendäre Satz „Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“ ist ein perfektes Beispiel dafür, wie man Krisenkommunikation nicht machen darf. Einerseits wurde der Bevölkerung damit unnötig noch mehr Angst gemacht, als ohnehin schon an Unsicherheit vorhanden war. Andererseits sollten Regierende sich, wenn sie die Apokalypse vorhersagen, schon sehr sicher sein, dass sie auch wirklich bevorsteht. Ansonsten laufen sie nämlich Gefahr, nicht mehr ernst genommen zu werden und auch dieser Effekt ist im Moment ein großes Problem. Aktuell wird weniger mit den Todesfällen als mit den Fallzahlen positiv Getesteter und den knapper werdenden Kapazitäten auf den Intensivstationen argumentiert. Nur leider hat man auch da frühzeitig das Pulver verschossen. Das Bevorstehen einer Überforderung der intensivmedizinischen Versorgung wurde im Frühjahr bereits bei nicht einmal der Hälfte der aktuellen Zahlen für die Woche nach Ostern prophezeit. Tatsächlich war man weit davon entfernt. Zudem hat man trotz Vorhersehbarkeit einer zweiten Welle die durchaus mögliche Schaffung zusätzlicher Intensivbetten und die Bereitstellung zusätzlichen medizinischen Personals verabsäumt. Das hat Glaubwürdigkeit gekostet, die man jetzt dringend brauchen würde.

3.) Ein Regime des Drohens und Strafens

Viele Menschen fühlen sich derzeit traumatisch in Kindertage zurückversetzt, als Drohungen und Strafen an der Tagesordnung waren. „Du tust was ich sage, sonst …“, haben viele noch die Stimmen der Eltern oder Lehrer im Ohr. Und so unterschiedlich Kinder darauf reagieren, so unvorhersehbar fallen die Reaktionen der Erwachsenen aus. Während sich die einen ängstlich zurückziehen und allem unreflektiert Folge leisten, hinterfragen viele, andere stecken den Kopf in den Sand und wieder andere stehen trotzig auf. In der Kindererziehung hat man schon in den 70er Jahren erkannt, dass Offenheit und Ehrlichkeit, die Nachvollziehbarkeit von Ge- und Verboten und ein respektvoller, positiver Umgang wesentlich förderlicher sind, als sinnloses Abstrafen. Insofern mutet es eigenartig an, dass man einer erwachsenen, mündigen Bevölkerung diese Lernfähigkeit nicht zutraut.

Das Strafrecht sollte unter allen Umständen die ultima ratio bleiben, denn die inflationäre strafrechtliche Ahndung von nur allzu menschlichen, alltäglichen Handlungen führt erfahrungsgemäß dazu, dass Sanktionen ihre abschreckende Wirkung verlieren. 

4.) Denunzierung und Anprangerung

Einer der bedenklichsten Auswüchse der Corona-Politik der Ge- und Verbote ist das regelrechte Aufblühen eines schon totgeglaubten Denunziantentums. Kaum war der Satz „Corona-Partys sind an Schwachsinnigkeit kaum zu überbieten“ in der Pressekonferenz ausgesprochen, hagelte es in den Polizeiinspektionen Österreichs schon Anzeigen missgünstiger Nachbarn, die teils banale und nur den Privatbereich betreffende Tatsachen wahrnahmen und sich als brave Bürger veranlasst sahen, potentiellen Superspreadern ein Ende zu bereiten.

Die dieser Tage so viel beschworene Solidarität wird definiert als „Zusammenhalt aufgrund eines Gefühls der Zusammengehörigkeit“. Eben dieses Gefühl lässt sich aber nicht per Gesetz „ erzeugen“, umso weniger wenn man dieses Gefühl der Einheit zuvor selbst in Schutt und Asche gelegt hat, indem man verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufhetzt.

„Dos“ (Was dringend nötig wäre):

1.) Eine klare Kompetenzverteilung:

Seit März 2020 entscheiden Politiker europaweit auf Basis der Meinung von Experten, nämlich Virologen, Epidemiologen, Mikrobiologen, Statistikern und Intensivmedizinern. Die Meinung mancher dieser Experten gilt als unumstößlich und wird von der Politik zum Anlass genommen, die weitreichendsten Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte, die es seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat, zu verordnen. Andere Experten dieser und anderer Fachgebiete, die alternative Strategien vorschlagen oder gegenteilige Fachmeinungen veröffentlichen, finden kein Gehör. Ihr Ruf verhallt, wird als Einzelmeinung dargestellt oder verächtlich gemacht.

Was können Ärzte, Virologen, Epidemiologen und Statistiker denn eigentlich leisten? Sie können als Sachverständige Kenntnis von Zahlen, Daten und Fakten und damit von evidenzbasierten Informationen, beispielsweise über die Art und Weise der Verbreitung und Gefährlichkeit einer bestimmten Krankheit, wie hier SARS-CoV-2, aufzeigen. Sie können Handlungsoptionen benennen, mit denen Einfluss auf bestimmte Zahlen, Daten und Fakten eines epidemiologischen Geschehens genommen werden könnte. Dabei sind sie und ihre Expertisen für die Regierung bloß ein Teil einer Entscheidungsgrundlage – vergleichbar einem Beweismittel – und haben sich vor den Gesetzen der Logik und der Lebenserfahrung sowie vor Gegenexpertisen zu behaupten. Expertisen können durchaus widerlegt werden oder sich im Lauf der Zeit als falsch erweisen.

Die von der Politik (auf Basis nicht publizierter Auswahlkriterien) beigezogenen Experten sind jedoch keine gewählten Entscheidungsträger und können keinesfalls die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen im Zusammenhang von Grundrechtseingriffen beurteilen oder gar neue Kriterien zur Überprüfung dieses Wertungsgefüges festlegen, auch wenn sie dies - wie zuletzt ein politiknahes Institut - vehement fordern. Die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Grundrechtsgefüges obliegt zunächst der gewählten Regierung eines Landes und nachfolgend einem anderen dafür ausgebildeten Expertenstand, nämlich den Juristen.

Eine klare Kompetenzverteilung und -abgrenzung schafft wahrnehmbar Struktur und vermittelt Sicherheit.

2.) Faktenwahrheit

Die Entscheidung, welche Maßnahmen, ob überhaupt Maßnahmen und wie lange Maßnahmen getroffen werden, obliegt den politischen Entscheidungsträgern allerdings nicht nach eigenem Gutdünken sondern auf Basis der nachprüfbaren Faktenlage. Diese trifft dabei die Beweislast, dass jene Kriterien, die Grundlage der Grundrechtseingriffe bilden, auch der Realität entsprechen. Es liegt somit in der Verantwortung der Regierung, sich die dafür erforderlichen Entscheidungsgrundlagen gewissenhaft zu erarbeiten, diese gegenüber der Öffentlichkeit transparent zu machen, die Entscheidung nach Abwägung aller Entscheidungsgrundlagen selbst zu treffen und sie nicht an Ärzte und Statistiker zu delegieren.

Nach annähernd einem Jahr im Zusammenleben mit „dem Virus“ wäre es an der Zeit, mit Vermutungen und Theorien Schluss zu machen und sich auf die Fakten zu beschränken, die wissenschaftlich belegt und belastbar sind. Aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen hat die Politik sich aber nicht reflexartig jene auszusuchen, die möglichst pessimistisch harte Maßnahmen nahe legen. Konnte man am Beginn der Pandemie Unsicherheitsfaktoren noch mit größerem Verständnis begegnen, wird dieser Spielraum im Zeitverlauf – und angesichts der nun auch belastbaren Zahlen an hierzulande Verstorbenen - immer kleiner. Insofern hinken auch Vergleiche mit der Situation im Frühjahr. Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, können, müssen und dürfen sich ausschließlich am tagaktuellen positiven Erkenntnisstand der Wissenschaft orientieren. Im Zweifel ist der Rückkehr zur alten Normalität der Vorzug zu geben.

3.) Transparenz in der Entscheidungsfindung zur Verhältnismäßigkeit

Die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten zugunsten des Gemeinwohls ist keineswegs ein neues Phänomen. Der Verfassungsgerichtshof hat derartige Einschränkungen schon in unzähligen Entscheidungen – bei Bestehen einer entsprechenden Faktenbasis - für zulässig und verfassungskonform erklärt, also ist es nicht bloß eine Frage des „Ob“ sondern auch des „Wie“. Ohne an dieser Stelle in die Details einer juristischen Fallprüfung eingehen zu wollen, sei nur auf den zentralen Abwägungsvorgang der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwiesen. Dabei ist – vereinfacht dargestellt – die Schwere des Grundrechtseingriffs mit dem Nutzen für den verfolgten Zweck abzuwägen.

Bezogen auf die in Rede stehenden Maßnahmen würde das bedeuten, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse den nachweislichen und messbaren Nutzen einer Maßnahme im Sinne einer positiven Auswirkung auf die Verhinderung des Infektionsgeschehens gegen die kurz- und langfristig absehbaren Kollateralschäden der jeweiligen Maßnahme abzuwägen.

Am Beispiel der aktuell sehr umstrittenen Schulschließungen wären daher folgenden Fragen zu beantworten:

Gibt es eine wissenschaftlich valide Grundlage für die Annahme, dass Kinder (wenn ja, welche Altersstufe) eine besonders hohe Infektiösität aufweisen und die Ansteckung mit einer hohen Virenlast weitergeben können?

In welchem Umfang ist bei neuerlicher Schließung von Schulen und Kindergärten eine Senkung der Belastungen im Intensivbereich und der Todesfälle wissenschaftlich nachgewiesen?

Welche negativen psychischen, körperlichen, entwicklungstechnischen und wirtschaftlichen Folgen ziehen diese Schließung einerseits für die betroffenen Kinder selbst und andererseits für deren Eltern und damit mittelbar für die Wirtschaft nach sich?

Ist der im Infektionsgeschehen erzielbare Effekt als wichtiger und höherwertiger anzusehen, als die genannten Schäden?           

Möglicherweise wurden in den Ministerien tatsächlich zu jeder einzelnen Maßnahme derartige wissenschaftlich fundierte Abwägungen vorgenommen, kommuniziert wurde davon allerdings nichts. Sofern nämlich Maßnahmen auch auf die für die Umsetzung notwendige, möglichst breite Akzeptanz treffen sollen, ist der dargestellte Vorgang gegenüber der Bevölkerung vollständig transparent zu machen. Respekt ist keine Einbahnstraße.

4.) Förderung der Eigenverantwortung

In der politischen Kommunikation wird Eigenverantwortung im Moment dahingehend definiert, dass sich die Bevölkerung an die empfohlenen Schutzmaßnahmen halten möge, um Ältere oder Gefährdete besser zu schützen. Eigenverantwortung im eigentlichen Sinn des Wortes bedeutet aber etwas gänzlich anderes, nämlich primär die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, um diese Verantwortung nicht anderen Mitgliedern der Gesellschaft aufzubürden. Das bedeutet vor allem die Vornahme einer kritischen Selbsteinschätzung, etwa ob und zu welcher Risikogruppe man selbst gehört und welchem Risiko man sich selbst aussetzen möchte. Prinzipiell sollte sich auf dieser Basis jeder, der gesund ist und sich gesund fühlt, keinerlei Anzeichen einer Infektion aufweist, uneingeschränkt frei bewegen dürfen. Dass damit umgekehrt auch ein verantwortungsbewusster Umgang mit allfälligen Erkrankungssymptomen oder einer positiven Infektion durch Selbstisolierung bzw Quarantäne einhergeht ist selbstredend. 

Denn der freie, eigenverantwortliche Umgang mit der eigenen Gesundheit muss der Regelfall bleiben. Die Rechte des Einzelnen dürfen nur dort ihre Grenzen finden, wo es den eigenverantwortlichen Schutzbereich eines anderen zu respektieren gilt. Das gebietet in Zeiten wie diesen die Einhaltung des Mindestabstandes zu all jenen Mitmenschen, die das auch tatsächlich wünschen, das Respektieren geänderter Umgangsformen, unter Umständen auch das Tragen des Mund-Nasenschutzes insbesondere dort, wo ein selbstbestimmtes Abstandhalten nicht möglich ist, wie etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln. Denn jedem, der sich durch seine Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder aus Angst vor einer Ansteckung schützen möchte, muss dieses Recht gleichermaßen uneingeschränkt zukommen. Unter diesem Aspekt ist die Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit nur eine Facette eines selbstbestimmten Lebens. Um jedem einzelnen diese Selbstbestimmung in der aktuellen Situation auch rechtlich und wirtschaftlich möglich zu machen, sind bereits ergriffene Maßnahmen als Hilfen und nicht als Verordnungen anzubieten, wie etwa großzügige Dienstfreistellungen, fakultatives Homeoffice, Einkaufshilfen, etc. Diese dienen dem gezielten Selbstschutz der Risikogruppen als Hilfen deutlich mehr, als undifferenzierte Schließungen, finden mehr Akzeptanz und kosten im Ergebnis weniger.

Die Verantwortung für die eigene Gesundheit sollte – wie sonst auch, etwa beim Rauchen oder bei der Ausübung von Risikosportarten – jedem individuell selbst überlassen sein und nicht zwangsweise von staatlichen Autoritäten überbunden werden.

Die staatlichen Aufgaben in diesem Zusammenhang lassen sich auf wenige Kernkompetenzen beschränken: Aufklärung, Schaffung der notwendigen wirtschaftlichen und medizinischen Infrastruktur, die Eigenverantwortung möglich macht, und die Ahndung von widerrechtlichen Eingriffen in den eigenverantwortlichen Selbstschutz.

5.) Hoffnung

Nahtlos an die Forderung transparenter Entscheidungsgrundlagen schließt sich die Forderung nach klar definierter, transparenter Zielsetzung. Will man Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung in der Bevölkerung entgegenwirken, braucht es ein Ziel vor Augen, das Hoffnung gibt. Aktuell kann das nicht bloß eine möglicherweise im zweiten Quartal des Jahres 2021 flächendeckend zur Verfügung stehende im Schnellverfahren entwickelte Impfung sein. Gerne wollen wir glauben, dass der nunmehr ausgerufene, zweite Lockdown der Sicherung des traditionellen Familienfestes Weihnachten und nicht bloß der Rettung des Wintertourismus dienen soll, um nach den Semesterferien den 3. Lockdown anzukündigen.

Umso mehr braucht es für diesen neuerlichen gesellschaftlichen Kraftakt Zielvorgaben, also im Voraus definierte, angepeilte Werte, ab deren Erreichen die Bevölkerung wieder einen Anspruch auf Normalität (damit ist nicht die Freiheit von Krankheiten, sondern von Maßnahmen gemeint) hat – und zwar eine selbstbestimmte und nicht politisch definierte Normalität.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass in der aktuellen und konkreten Bedrohungssituation ein verantwortungsbewusster Umgang von Menschen eines Landes weder von heute auf morgen kommt, noch mit geballter medialer Propaganda oder Sanktionen erzwungen werden kann. Vertrauen muss man sich vielmehr verdienen. Langfristig betrachtet sind aber für diese und auch für jede andere Krise Aufklärung, Transparenz und Eigenverantwortung der einzige praktikable und grundrechtskonforme Bewältigungsansatz.

Schon im September hat die Initiative für Grund- und Freiheitsrechte mit einem Fragenkatalog an die Bundesregierung genau diese Transparenz eingemahnt. Die Antwort ist die Bundesregierung bis heute nicht nur der Initiative sondern der gesamten österreichischen Bevölkerung schuldig geblieben.